Noch immer haben die Damen des Berliner Hockey-Clubs die zweitmeisten Feld-Titel in Deutschland geholt, die Herren stehen auf Rang drei der erfolgreichsten Bundesligaclubs. Doch die goldenen Zeiten des Hauptstadtclubs liegen schon einige Zeit zurück. Aktuell kämpft der Traditionsclub darum, gegen die wirtschaftlich überlegene Konkurrenz zu bestehen, ohne dabei seine historischen Werte aufgeben zu müssen. Ein Einblick in einen familiären Verein, der trotz begrenzter finanzieller Möglichkeiten und mit viel individuellem Engagement versucht, zukünftig wieder an den nationalen Spitzen mitzumischen.

Am 5. November diesen Jahres wird der Berliner Hockey-Club 115 Jahre alt. Die letzte Erfolgswelle der Damen, in denen sie sieben Titel innerhalb von neun Jahren gewannen, ist schon fast ein Jahrzehnt her. Das Feld-Triple der Herren liegt bereits mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Aktuell befindet sich der blau-rote Hauptstadtclub in einem Umbruch, stellt sich aber offen und selbstkritisch den Herausforderungen in einem immer professionelleren Umfeld und möchte sich trotz seiner begrenzten finanziellen Mittel wieder zurück an die nationale Spitze kämpfen. Im Jugendbereich will der BHC durch nachhaltige Arbeit vieler Trainer ein attraktives Angebot für den Nachwuchs im Leistungs- und Breitensportbereich schaffen und seine Vormachtstellung im Berliner Hockey dauerhaft verteidigen.

„In den letzten Jahren gab es einige Dinge, die man hätte noch besser machen können. Man hat beispielsweise nicht immer dafür gesorgt, dass auch Spielerinnen und Spieler von außen kommen“, resümiert Dirk Gaßmann, der seit dem 27. März 2019 Präsident des Clubs ist. Die Jugendarbeit lobt der Präsident jedoch ausdrücklich und verweist insbesondere auf den weiblichen Jahrgang 2003/04, der 2017/18 bei den Mädchen A deutscher Meister auf dem Feld und in der Halle geworden ist und zuletzt in der wJB sowohl draußen als auch drinnen das DM-Endspiel erreichte. Der letzte Meistertitel der Damen datiert hingegen vom 2. Juni 2013, als Jana Gonnermann den BHC mit ihrem Golden Goal 26 Sekunden vor Ende der Verlängerung zum insgesamt neunten und bis dato letzten Wimpel schoss. Später hat sie die BHC-Damen mehrere Jahre als Kapitänin angeführt. Ebenfalls immer noch aktiv ist Svenja Schuermann – eine, die sogar noch mit der goldenen Generation um Natascha Keller, Louisa Walter und Badri Latif Erfolge feiern durfte.

Doch auch auf der Trainerbank gibt es noch ein bekanntes Gesicht. Floris Völkner engagierte sich zunächst als Jugendtrainer, gewann 2013 mit den Damen jenen letzten Titel und unterstützt nun auch wieder Headcoach Stan Huijsmans als Co-Trainer. „Dass, was wir aktuell bei den Damen mitmachen, hat jeder große Club über die Jahre bereits mitgemacht“, sagt Völkner und schließt Vergleiche zu ähnlichen Durststrecken bei Rot-Weiss Köln, Rüsselsheim oder auch dem Club an der Alster. Die BHC-Damen finden sich zuletzt im Tabellenmittelfeld wieder. „Um Erfolge zu feiern, braucht es auch eine gewisse Selbstverständlichkeit bzw. Erfahrung im Gewinnen auch von knappen Spielen. Erfolg verbindet und stärkt den Glauben an sich selbst. Durch Erfolg entsteht wiederum auch Konstanz“, erläutert Völkner die Zusammenhänge.

 

Doch genau an dieser Konstanz fehlt es momentan dem jungen Damenteam. Beispielsweise gewannen sie die letzten vier Jahre mit Bravur die Hallen-Bundesliga Ost, scheiterten aber dann jedes Mal denkbar knapp im Viertelfinale vor heimischer Kulisse. „Um mit der jetzigen Mannschaft erfolgreich zu sein, müssen wir immer am Limit spielen, während damals auch mal 80 oder 90 Prozent gereicht haben, um ein Spiel zu gewinnen“, vergleicht der Coach. „Das Potenzial ist aber auch in der heutigen Mannschaft da, zudem könnten ein bis zwei neue Spielerinnen, aus der eigenen Jugend oder extern, schon reichen, um das Team nochmal zu verstärken.“

Die Entwicklung im weiblichen Bereich hat auch Präsident Gaßmann genau verfolgt und sogar ein Positionspapier entwickelt. „Das Papier enthält drei wesentliche Punkte: Die Attraktivität nach außen, die sportliche Perspektive und das Qualitätsniveau der 2. Damen. Aktuell haben wir ein Gap zwischen den 1. und 2. Damen, welches in der Vergangenheit so nicht existierte.“ Zwischen 1994 und 2001 standen die Damen jedes Jahr im Feld-Endspiel und gewannen allein in dieser Zeit vier Titel. Gaßmann, der selbst über viele Jahre die 2. Mannschaft trainierte, erinnert sich noch gut: „Obwohl es bei den 1. Damen viele Nationalspielerinnen gab, hat Friedel Stupp immer wieder Spielerinnen von mir angerufen und sie für einzelne Partien zu den 1. Damen gezogen. Sie konnten in der Bundesliga mithalten, das sieht heute anders aus.“

Eine, die damals als Aktive dabei war, und heute ihre eigenen Kinder beim BHC spielen lässt, ist Janina Dechsling (geborene Totzke). „Wenn ich die letzten Jahrzehnte des Clubs beschreiben soll, fällt mir sofort das Wort ‚Umbruch‘ ein. Ich bin aber positiv gestimmt, dass der Club seine Professionalisierung im Jugendbereich weiter vorantreibt und wir auch weiterhin einen Mitgliederzuwachs verzeichnen“, sagt die ehemalige Jugendnationalspielerin. Der BHC verfügt mittlerweile nicht nur über zusätzliche hauptamtliche Trainer im weiblichen und männlichen Nachwuchsbereich, sondern arbeitet bereits im Mini-Training nach einem klaren Entwicklungskonzept. „Man muss den BHC einfach erleben. Es ist wie eine große Familie, in der ganz viel Herz hinter der Sache steckt“, erzählt Dechsling. Viele der blauen Wimpel, die die Rückwand des Clubhauses zieren, hat sie mitgewonnen. Heute engagiert sie sich als Trainerin im so genannten Hockeykindergarten bei den Allerkleinsten. „Der Verein lebt einfach von ehrenamtlichem Engagement. Für mich ist es ein schöner Ausgleich und ich möchte auch was zurückgeben“, erklärt die 37-malige A-Kadernationalspielerin.

Das, was Janina Dechsling beschreibt, versuchte ihr Mann Kai gemeinsam mit Marketing-Vorstand Jan Horn in ein Markenkonzept zu gießen. Dazu befragten die beiden die Mitglieder, was sie mit dem BHC verbinden bzw. wofür der Club steht. Zu den am häufigsten genannten Adjektiven zählten liebenswert, weltoffen, tolerant, herzensgut, familiär, leistungsorientiert und ehrgeizig. Interessante Ergebnisse lieferte auch die Befragung zu den besonderen Momenten in der BHC-Geschichte, bei der neben den zahlreichen DM-Titeln insbesondere das Clubleben mit den Meisterfeiern bzw. die Rückkehr von Olympioniken hervorgehoben wurde. Das Stichwort Clubleben sowie die sehr gute und erfolgreiche Jugendarbeit wurde auch wiederholt genannt, als es darum ging, was den BHC von anderen Vereinen unterscheidet.

„Wir wollten in Erfahrung bringen, wie wir mit unseren Mitgliedern reden müssen“, berichtet Initiator Jan Horn, der selbst Geschäftsführer einer Werbeagentur war und heute als Eventmanager Festivals und Messen organisiert. „Die Analyse soll uns dabei helfen, zu verstehen, was wir Eltern und Kindern anbieten müssen, um auch weiterhin als guter Ausbildungsverein und nicht nur als ewiger Bundesligist gesehen zu werden.“ Dabei fällt Horn sogar aus der Reihe des klassischen BHC-Ehrenamtlers. Er selbst hat keine Hockeyvergangenheit, erst seine Kinder haben den Sport für sich entdeckt und so ist er als Vater dazugestoßen. Dennoch war es für ihn keine Frage, sich mit seiner beruflichen Expertise im Vorstand einzubringen. Janina Dechsling ist überzeugt: „Wir sind auf dem richtigen Weg. Auch im Vorstand bringen sich immer mehr Leute mit eigenen, kleineren Kindern ein, die dann auch einen ganz anderen Blick auf die Jugend und die Interessen der Eltern haben.“

Seit diesem Jahr verfügt der BHC auch über einen Ehrenpräsidenten und dies ist kein geringerer als Michael Stiebitz, der über Jahre die Geschicke des Clubs als Präsident lenkte. „Wir haben ihm sehr viel zu verdanken“, sagt Gaßmann. Stiebitz selbst erinnert sich zirka 20 Jahre zurück: „Der Verein stand damals wirtschaftlich und sportlich an einem Scheideweg, man hat sogar überlegen müssen, die Damen aus der Bundesliga zurückzuziehen.“ Doch mit „blau-rotem Herzblut“, wie Stiebitz es beschreibt, ist es gelungen, den BHC wieder in ein ruhigeres Fahrwasser zu bringen und neben den zahlreichen Damentiteln sogar 2012 die deutsche Feld-Meisterschaft der Herren zu gewinnen. „Für die Konkurrenz war das ein Unding“, erinnert sich der Ehrenpräsident, der sich damals für die Ausrichtung der Endrunde auf dem heimischen Platz stark machte.

„Der BHC ist aus einem Traditionsverein entstanden. Dies ohne den wirtschaftlichen Background aufrecht zu erhalten, wird verdammt schwer“, warnt Stiebitz jedoch und ergänzt: „Ich sehe hier sogar eine doppelte Gefahr, wenn ich dann Leute einkaufen muss, die die Mentalität des Clubs nicht haben.“ Seine Wahl zum Ehrenpräsident versteht er ganz klar als aktive Aufgabe: „Ich sehe mich hier nicht als den Gruß-August, der kostenlos zu den Bundesligaspielen gehen darf, sondern ich möchte und werde da sein, wenn es brennt und unterstütze jederzeit mit meiner Expertise.“

 

Auch Gaßmann weiß, dass „ehrenamtliche Strukturen unverzichtbar“ sind, er ist sich aber auch im Klaren, dass aufgrund engerer Zeitpläne in Schule, Ausbildung und Studium der Kreis und die Kapazität der potenziellen Helfer immer kleiner wird. Daher fordert er: „Ich glaube auch nicht, dass man für alles bezahlen muss, aber die Trainertätigkeit muss vernünftig entlohnt werden. Es kann nicht sein, dass ein Jugendspieler lieber im Supermarkt an der Kasse sitzt, weil dort der Stundensatz höher ist.“

Das Flaggschiff des BHC sind momentan die 1. Herren, die mit ihrem Finaleinzug in diesem Jahr bei der Hallen-DM in Stuttgart für ganz frische Euphorie im Club sorgten. „Das ist unfassbar, was da passiert ist und mit welcher Fan-Kultur wir uns dort präsentiert haben“, sagt Gaßmann, der trotz der knappen Niederlage gegen Köln immer wieder die Phrase „Meister der Herzen“ zu hören kriegt. Mit der Verpflichtung von Rein van Eijk als Cheftrainer ist es dem BHC gelungen, frischen Schwung in den Herrenbereich zu bringen. Mit seiner akribischen, aber zugleich jugendlich-dynamischen Art hat der Niederländer es geschafft, die 1., 2. und 3. Herren sowie die mJA zu einem Team zu verschmelzen. „Man sieht schon jetzt die Entwicklung. Ab jetzt und auch die nächsten fünf, sechs Jahre sehe ich uns wieder um die Titel mitspielen“, meint Bundesligawart Sebastian Zippel.

Er selbst musste in der Vergangenheit immer wieder als Interimstrainer einspringen, bis man mit van Eijk den Aufbruch in die Zukunft schaffte. „Man muss selbstkritisch anerkennen, dass wir in der Vergangenheit ein paar Saure-Gurken-Jahre hatten, aber es waren auch nicht alle schlecht. Wir haben uns immer stabil in der Bundesliga gehalten und auch vor und nach 2012 immer wieder am Final Four geschnuppert“, ergänzt Zippel. „Wenn wir jetzt weiter so solide arbeiten und auch in der Jugend nicht schlafen, dann kommt da einiges nach. Damit sehe ich die Herren super aufgestellt.“

Auch auf dem Feld hat der BHC jüngst die finanzstarke Konkurrenz geärgert, die Partien gegen Polo und den MHC wurden gewonnen, den Mülheimern ein Unentschieden abgetrotzt – ein Fingerzeig, dass auch der weiterhin traditionell geprägte Ansatz erste Früchte trägt. Und auch in den anderen beiden BHC-Sparten Tennis und Lacrosse hat sich einiges getan: Beispielsweise wurde jüngst eine eigene Lacrosse-Abteilung für Mädchen aufgebaut, auch heute noch etwas Besonderes in dieser in Deutschland noch jungen Sportart.

Fotos: BHC / Fritz Ebeling, Jan Horn, privat